Abenteuer im Strundetal Teil 10

Abenteuer im Strundetal Teil 10

Annomé hatte sich in die hinterste Ecke von Carlottas Hexenhaus verkrochen. Gegen die Tür hämmerte der böse Zauberer Ogelot und rief: „Aufmachen! Aufmachen! Aaaaufmaaaaachen!“ Annomé hielt sich die Ohren zu und jammerte: „Oh nein, oh nein.“
Plötzlich begannen sich die Gegenstände im Haus aufzulösen, sogar sie selber. Annomé sah alles nur noch verschwommen. Sie hatte das Gefühl, als würde sie aus einem tiefen Meer langsam auftauchte. Die Stimme von Ogelot wurde immer lauter und klarer, je weiter sie nach oben kam.
Annomé riss die Augen auf. Sie schaute direkt in die Augen von Meelan. Er hatte sich über sie gebeugt, hämmerte mit einer Faust auf den Stuhl, auf dem sie gestern Abend selig eingeschlummert war, und rief: „Aufwachen! Aufwachen!“
Meelen musste über das entsetzte Gesicht von Annomé lachen. „Sag mal, wo warst du denn wieder im Traumland unterwegs? Deinem Gejammer nach war gerade Ogelot hinter dir her.“
„Ach Meelan, hast du mich erschreckt!“
„Wohl eher gerettet, würde ich sagen.“
Annomé dachte an ihren schrecklichen Traum. „Na ja, irgendwie schon.“ Sie gähnte ausgiebig und kratzte sich am Kopf. Ihr Haar sah aus, als wäre gerade ein Sturm hindurch gefegt. Meelan musste grinsen. Annomé wie sie leibt und lebt.
„Weißt du Meelan“, sagte Annomé, „ich will nicht immer Angst vor Ogelot haben. Das muss doch irgendwann mal aufhören.“
„Wir arbeiten doch daran Annomé. Wie oft haben wir ihn schon gemeinsam in die Flucht geschlagen.“
„Aber eben im Traum, da war ich ganz alleine. Ein richtiger Albtraum war das Meelan.“
„Gerade ist keine Zeit für Albträume, jetzt wird erst mal gefeiert. Schau der Elfenkönig und die Elfenkönigin und die Feen sind auch schon da. Bald beginnt das Strundetal-Fest. Erste Besucher laufen auch schon herum.“
„Meelan!“, rief Annomé. „Heute ist ja das Fest. Das hatte ich vor lauter Ogelot-Albtraum fast vergessen.“
Annomé sprang auf, wuschelte sich mit beiden Händen einmal durch ihr Haar und sagte: „Fertig.“
„Na dann komm du verrückte Elfe“, sagte Meelan und flog aus der Back Company. Annomé flog zum Wald-Zelt. Hier gab es die Anderswald-Bücher und viele schöne andere zauberhafte Artikel. Neben dem großen Zelt stand ein kleines grünes Zelt. Dort würde Andrea den Kindern aus den Anderswald-Büchern vorlesen.
Carlotta begrüßte Annomé in dem Zelt mit einem Grinsen. „Schau mal Annomé, was ich gezaubert habe.“
Hinter dem Anderswald-Stand erblickte Annomé die Elfe Aurelia. Carlotta hatte sie durch einen großen Zauber in eine menschliche Gestalt verwandelt. „So kann ich Andrea helfen und gleichzeitig die Menschen besser studieren“, sagte sie zu Annomé.
Aurelia war von Jaspers Wissen so beeindruckt, das sie zurzeit beim Hüter der Akasha Chronik eine Ausbildung machte. Schon so viel Wissen hatte sie sich durch die Bücher angeeignet. Alles was je hier auf der Erde geschehen war, stand hier geschrieben. Aurelia fand, es war ein faszinierender und geheimnisvoller Ort.
Annomé staunte. „Was du alles zaubern kannst Carlotta.“ Sie schaute nach draußen und sagte: „Kannst du bitte auch schönes Wetter zaubern? Schau mal, es regnet.“
„Na klar, da kümmere ich mich drum. Bin schon unterwegs.“ Carlotta sauste mit ihrem Besen Speedy davon.
Es dauerte nicht lange, da riss der Himmel auf und die Sonne trat hervor. Der Strom der Besucher wurde größer und größer. Mit Bussen, Kutschen und Planwagen wurden die Gäste durch das Strundetal gefahren. An den verschiedenen Attraktionspunkten konnten sie ein oder aussteigen.
Gerlinde und ihr Back Company-Team flitzten hin und her. Passend zum Thema des Festes hatten sie sich Mützen mit Elfenohren angezogen. Das sah sehr lustig aus. Überall saßen Menschen, aßen Kuchen oder andere Leckereien. Die Feen Nelly, Monja und Barbarelle verteilten überall ihren magischen Feenstaub. Die Stimmung war hervorragend.
„Kommt mal schnell her!“, rief Annomé ihren Freunden zu.
Sie flatterte vor einem großen Schild herum.
„Schaut mal“, sagte sie lachend, „das hat Gerlinde hier gerade aufgestellt.“
Annomés Lieblingsspeise, Beerentörtchen“, las Jasper. Die Freunde lachten mit Annomé.
„Was für eine witzige Idee“, sagte Meelan.
„Wie wäre es mit einem Streifzug durchs Strundetal?“, fragte Thilion.
„Ja, lasst uns mal schauen, was es noch so alles auf dem Fest entlang der Strunde zu bestaunen gibt“, sagte Farina.
Und schon machten sich die Freunde auf den Weg.
„He, Annomé“, rief Carlotta. „Kommst du nicht mit?“
„Geht ihr ruhig schon mal vor. Ich komme nach. Werde mich hier erst nochmal etwas umschauen.“
„Ich ahne schon, nach was du dich umschaust“, sagte Farina lachend als sie sah, dass Annomé ein Tablett mit „Annomés Lichlingstörtchen“ ansteuerte.
„Oh je, wenn das mal nicht in einer Katastrophe endet“, sagte Thilion lachend.
„Ach was“, sagte Annomé. „Ich pass schon auf mich auf. Werde euch schon finden.“
Carlotta seufzte. „Mach ja keinen Blödsinn Annomé, hörst du? Wenn wir uns auf der Stecke nicht treffen sollten, dann warten wir an der Quelle der Strunde auf dich.“
„Ja, ja, ja. Alles gut. Bis gleich.“
Und schon flog sie zielstrebig den Törtchen entgegen. Die Freunde zogen ohne Annomé los. Nachdem sich Annomé reichlich mit Törtchen versorgt hatte, flog sie zu Aurelia ins Anderswald-Zelt. Hier gab es einen großen Tisch und Bänke für die Kinder. Dort war der Platz wo die Kinder das magische Rätsel lösen konnten. Annomé freute sich als sie sah, wie die Augen der Kinder strahlten, wenn sie sich als Belohnung einen Elfenedelstein aus der Schatztruhe aussuchen durften.
„Puh, sagte Annomé, „ich kann nicht mehr. Ich glaube, es war ein Törtchen zu viel.“
Oh je“, sagte Aurelia als sie Annomés Elfenkugelbauch betrachtete, „musst du auch immer übertreiben?“
„Sie waren sooo köstlich“, sagte Annomé zu ihrer Verteidigung. „Nur, fliegen ist gerade echt anstrengend. Wie soll ich bloß die anderen einholen?“
„Nimm doch den Bus oder einen Planwagen. Schau, da kommt gerade einer.“ Aurelia zeigte auf einen roten Bus der kurz vor dem Zelt hielt.
Annomé strahlte. „Oh, damit könnte ich die anderen sogar überholen ohne dass sie es merken. Na, die werden sich wundern, wenn ich vor ihnen an der Quelle bin.“
Und schon flog Annomé davon. Aurelia schaute ihr Kopfschüttelnd hinterher. Diese Annomé war schon eine verrückte Elfe. Aber mit ihr war es nie langweilig. Schon so manches Abenteuer hatte sie mit ihr gemeinsam erlebt.
Jemand zupfte Aurelia am Rock. „Du, Elfe, kannst du mir bei dem Rätsel helfen?“
„Na klar, mach ich gerne“, sagte Aurelia und widmete sich wieder den Kindern.
Annomé fuhr durchs Strundetal. Überall bei den Attraktionen entdeckte sie ihre Freunde. Gerade sah sie, wie Carlotta eine Stelzenläuferin umflog. An der Endstation stieg Annomé aus. Wenn die Besucher wüssten, wer gerade mit ihnen im Bus gefahren ist, dachte Annomé und kicherte. Vergnügt flog sie den kurzen Weg zur Quelle.
Hallo liebe Quelle“, sagte Annomé als sie dort ankam. „Bis meine Freunde hier ankommen, mach ich noch ein kleines Mittagsschläfen. Törtchen essen macht ganz schön müde.“ Annomé überlegte. „Na ja, nicht wirklich. Eigentlich nur wenn man eins oder zwei oder drei zu viel gegessen hat.“ Sie stöhnte und legte sich auf einen Stein, direkt dort, wo die Quelle ans Tageslicht trat. Schnell war sie eingeschlafen. Sie träumte, Ogelot stand vor ihr und rief: „Aufwachen!“ Im Traum dachte Annomé: „Nicht schon wieder Meelan.“
Verschlafen öffnete sie die Augen und stieß einen gellenden Schrei aus. Es war nicht Meelan der vor ihr stand. Diesmal war es wirklich Ogelot, riesengroß.
„Das ist ja wie auf dem goldenen Tablett serviert“, sagte er und lachte hämisch. „Wir beide werden über das Energiekreuz verreisen. Ich nehme dich mit durch Zeit und Raum. Mal schauen, in welchem Jahrhundert ich dich verstecken werde. Deine Freunde werden ihre Mission, die Welt der feinstofflichen Wesen und die der Menschen zu vereinen, sofort beenden. Solange sie sich an meine Forderung halten, wird dir nichts geschehen. Damit das auch so bleibt, wirst du auf ewig meine Gefangene sein.“
Annomé hielt sich die Ohren zu um sein gruseliges Lachen nicht hören zu müssen. Doch es drang wie durch Watte zu ihr. Schnell schloss sie die Augen. Wenn Ogelot seine Drohung wahr machte, dann war sie für immer verloren. Sie selber war mal aus Versehen mit ihren Freunden in den Strudel des Energiekreuzes geraten und 600 Jahre in die Vergangenheit gereist. Ihr war klar, dass ihre Freunde sie niemals finden würden. Wer weiß, in welcher Zeit er sie verstecken würde. Tausend Gedanken rasten gleichzeitig durch ihren Kopf. Am liebsten wäre sie in ihrem Gedankengewusel verschwunden. Doch dann tauchte ein Gedanke auf. Sie würde ihre geliebten Freunde nie wiedersehen. Annomé wurde es ganz übel. Tränen traten in ihre Augen. Nein, sie würde sich nicht kampflos ergeben. Was hatte sie zu verlieren, wenn sie versuchte gegen Ogelot zu kämpfen? Nichts, sie konnte nur gewinnen. In Gedanken sah sie, wie sie auf Ogelot los boxte. Doch dieser lachte nur. Nein, damit würde sie Ogelot ganz bestimmt nicht in die Flucht schlagen. Da, war doch was, da war doch was. Wie schon so oft stellte sie fest, dass die Angst in so einem Fall, keine Hilfe war.
„Dann lass uns jetzt hier verschwinden. Es geht los kleine Elfe. Damals bist du mir entwischt, aber diesmal nicht.“
„Du weißt wie es geht“, sagte eine innere Stimme zu Annomé. „Los, gib alles, du kannst es.“
Plötzlich tauchte eine weitere Stimme auf. Oh je, dachte Annomé, der schon wieder. Sie wusste wem sie gehörte, dem Zweifler in ihr. Er sagte: „Gemeinsam mit deinen Freunden hast du es geschafft Ogelot mit eurem Licht zu vertreiben, aber alleine? Keine Chance. Und deine Angst vor ihm ist so groß und deine Wut auch, wie willst du ihm da mit Liebe begegnen.“
„Versuch es wenigsten“, sagte die Stimme der Hoffnung. „Du schaffst das. Dein Licht das du in deinem Herzen trägst ist so groß, dass du das ganze Strundetal ausleuchten kannst.“
„In echt?“, fragte Annomé jetzt laut und öffnete die Augen.
Ogelot wollte gerade nach ihr greifen, war aber etwas irritiert. „Was in echt?“, fragte er.
Schnell schloss Annomé wieder die Augen. Noch nie hatte sie sich so sehr in ihrem Elfenleben konzentriert. Vor ihrem inneren Auge stellte sie sich Ogelots Seele vor. Ja, auch Ogelot hatte eine Seele. Es fiel ihr schwer, sich das vorzustellen, doch sie schaffte es. Sie blendete sein Äußeres total aus und konzentrierte sich nur auf seine Seele. Oh je, sein Licht, war wie in einer Höhle eingesperrt. Sie hatte fast Mitleid mit ihm. Ein warmes Gefühl durchflutete sie mehr und mehr.
„Was tust du da“, fragte Ogelot argwöhnisch. „Hör sofort damit auf!“, befahl er.
Annomé ließ sich nicht ablenken und begann mehr und mehr zu leuchten. Hastig griff Ogelot nach Annomés Arm. Er wollte sie rütteln und schütteln.
Plötzlich hörte Annomé einen furchtbaren Schrei. Sie riss die Augen auf. Ogelot hielt schützend seine Arme vor sein Gesicht und begann kleiner und kleiner zu werden. Alles um Annomé herum war in ein helles warmes Licht getaucht, das Licht der Liebe. Oh, dachte sie, also kann ich tatsächlich so leuchten.
„Dich kann man auch wirklich nicht alleine lassen“, schimpfte Carlotta.
Annomé drehte sich um und hinter ihr standen alle ihre Freunde, die sich ebenfalls in das Licht der Liebe gehüllt hatten. Ein kleines Gefühl der Endtäuschung stieg in Annomé hoch. Dachte sie eben doch noch, sie selber hätte dieses große Licht erzeugt. Doch dann hörte sie die Stimme der Hoffnung in ihr die sagte: „Glaube mir, dein Licht ist größer als du es dir je vorstellen kannst.“ Ein Lächeln huschte über Annomés Gesicht. Sie drehte sich um. Ogelot war verschwunden.
„Puh“, sagte Annomé, „das war mal wieder knapp. Er wollte mich über das Energiekreuz entführen.“
Verstohlen wischte sich Carlotta eine Träne aus dem Augenwinkel. Den Gedanken, wenn es Ogelot gelungen wäre ihre Freundin zu entführen, mochte sie gar nicht zu Ende denken.
„Ich habe mich ganz dolle konzentriert“, sagte Annomé stolz. Sie dachte einen Moment nach, dann sagte sie: „Vielleicht sollte ich wie Aurelia, mal eine Ausbildung in der Akasha Chronik machen.“
Jasper holte ganz tief Luft und riss seine Augen weit auf. In Gedanken sah er Annomé, wie sie aber auch alles in seiner geliebten geheimnisvollen Bibliothek durcheinanderbringen würde.
„Bitte tu das nicht Annomé“, sagte er so flehentlich, dass alle Freunde in schallendes Gelächter ausbrachen.
Warum?“, fragte Annomé arglos.
„Darum“, antwortete Carlotta. „Weil du so bist wie du bist. Und weil wir dich lieben, so wie du bist. Und jetzt komm, wir müssen uns noch von Gerlinde verabschieden. Das Fest ist schon bald zu ende.“

„Führt die Frau Müller neuerdings Selbstgespräche?“, fragte schmunzelnd eine Kundin der Back Company die Verkäuferin hinter der Theke. Sie sahen, wie Gerlinde draußen alleine an einem Tisch saß, gestikulierte und scheinbar mit der Luft sprach.
„Die Zeit mit euch war echt ein Abenteuer“, sagte Gerlinde gerade zu den Freunden aus dem Anderswald. Ich werde euch vermissen.“
„Wir kommen dich ganz bestimmt wieder besuchen“, sagte Annomé und schielte auf das Schild „Annomés Lieblingstörtchen“.
„Das glaube ich dir aufs Wort“, sagte Gerlinde und lachte. Noch lange schaute sie ihren neuen Freunden hinterher und dachte: „Was für ein ZAUBERhaftes Abenteuer…“