Kurzinfo
Von Neugier getrieben durchstöbern Annomé und die Elfe Aurelia den Dachboden der alten Burg Seinesfelden. Zwischen alten Truhen und Gerümpel haben die beiden eine geisterhafte Begegnung. Durch diese erfahren sie von der tragischen Geschichte des Tales der schlafenden Seelen.
Aufgeregt berichtet Annomé ihren Freunden von dem Erlebnis auf dem Dachboden. Merkwürdig findet sie, dass der Elfenkönig Togan um diese Geschichte weiß, sie jedoch nie erwähnt hat. Von ihm erfahren sie, dass auch jemand aus dem Anderswald in diesem Tal gefangen ist.
Trotz großer Zweifel, beschließen Annomé und ihre Freunde die Seelen zu befreien. Sie wissen, dass sie sich dazu in eine unwirkliche Welt begeben müssen, aus der noch niemand zurückgekehrt ist. Auf ewig würden sie dort gefangen sein, sollte ihre Befreiungsaktion misslingen. Aber die Freunde aus dem Anderswald können diesem Abenteuer einfach nicht widerstehen und treten mutig ihre Reise ins Ungewisse an.
Leseprobe: Das Tal der schlafenden Seelen
Unheimliche Entdeckung
Annomé war wieder mal auf der Burg zu Besuch. Draußen tobte ein Schneesturm. Sie und Aurelia hatten es sich mit einer Portion Kekse auf dem alten Küchenschrank gemütlich gemacht.
»Was meinst du, Aurelia, wann kommt das Baby endlich auf die Welt?«
»Du kannst es wieder nicht erwarten, was? Ich denke, heute oder morgen.«
»Dann bleibe ich am besten diese Nacht hier. Ich will es nämlich unbedingt sehen, wenn es noch ganz frisch ist.«
Aurelia kicherte: »Ganz frisch, das hört sich ulkig an.«
Die beiden lachten und gickerten, bis ihnen der Bauch weh tat. Als sie sich wieder beruhigt hatten, sagte Annomé: »Ich glaube, ich drehe eine Runde durch die Burg. Kommst du mit?«
»Ach nein, ich habe keine Lust.«
»Nu komm schon, Aurelia. Alleine durch die Burg zu fliegen, ist langweilig. Und außerdem kennst du dich hier besser aus als ich. Nachher verfliege ich mich noch.«
Zögerlich sagte Aurelia:»Na gut, ich komme mit.« Sie spürte, dass ihre Freundin wieder etwas Verrücktes plante. Es fühlte sich so ähnlich an wie damals in der Höhle, in der Annomé irgendein Monster aufgescheucht hatte. Besser begleite ich sie, dachte Aurelia. Wer weiß, was sie sonst wieder anstellt.
Annomé flog voraus. Erst in die Eingangshalle, dann einen langen Gang entlang und anschließend zielstrebig in den Turm. Immer höher flog Annomé die Wendeltreppe hinauf.
Aurelia zog die Augenbrauen zusammen. »Wo willst du denn hin?«
Statt einer Antwort fragte Annomé: »Warst du mal auf dem Dachboden der Burg? Der muss riesig sein. Würde gerne wissen, was es da oben alles so gibt.«
Aha, dachte Aurelia. Habe ich es doch gewusst. Annomé hat wieder was vor. »Was willst du denn da?«, fragte sie.
»Ach, nix Besonderes. Nur mal gucken.«
Als sie oben im Turm auf der letzten Stufe der Wendeltreppe angekommen waren, standen sie vor einer alten Holztür, die einen Spalt geöffnet war.
Aurelia hatte ein ungutes Gefühl. »Komm, lass uns wieder runterfliegen.«
»Nur kurz reinschauen«, sagte Annomé.
»Annomé, du weißt, was damals in der Höhle passiert ist. Ich habe kein gutes Gefühl. Lass uns schleunigst verschwinden.«
Knarrend hatte Annomé die Türe geöffnet. »Ach Aurelia, was soll denn hier sein? Damals in der Höhle, das war was anderes.« So ganz geheuer war es ihr zwar auch nicht, aber ihre Neugier siegte. Langsam flog sie durch die Speichertür.
Aurelia verdrehte die Augen und folgte ihr.
»Der ist ja noch riesiger, als ich dachte«, sagte Annomé. Sie konnte nicht vom einen bis zum anderen Ende schauen. Die Burg hatte vier mächtige Türme, die durch ein Dach miteinander verbunden waren. Da gab es jede Menge zu erkunden. Hier oben gab es nur eine spärliche Beleuchtung. Annomé flog weiter in den Speicher hinein. Überall türmten sich Berge von Gerümpel. Die Burg war über tausend Jahre alt, da sammelt sich schon was an, dachte Annomé. »Aurelia, schau mal. Hier ist eine alte Truhe. Ob da ein Schatz drin verborgen ist?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Dann stände die nicht einfach hier auf dem Speicher rum.«
»Wir könnten reinschauen. Los, hilf mir, Aurelia.«
Mit vereinten Kräften öffneten sie den Deckel der großen Holztruhe.
»Ach«, sagte Annomé enttäuscht »da sind ja nur alte Kleider drin.« Sie hatte sich wahrhaftig vorgestellt, dass diese Truhe randvoll mit Schmuck und Edelsteinen gefüllt war.
Nach und nach entnahmen sie die Kleidung. Es waren Kleidungsstücke, die aus dem Mittelalter stammten.
Plötzlich rief Aurelia: »Das hier ist die Kleidung des Grafen! Du weißt schon, der damals hier der Graf von Seinesfelden war, als ihr die Zeitreise 600 Jahre zurückgemacht habt.«
»Ja, jetzt erkenne ich die Sachen wieder. He, he, wie lustig. Aber leider ist echt kein Schatz in der Truhe.«
Annomé wusste in diesem Moment nicht, dass es sehr wohl ein Schatz war, den sie da gefunden hatten. Denn er würde ihnen später noch gute Dienste leisten. Die beiden legten die Kleidung in die Truhe zurück und sahen sich weiter um.
Annomé flog mal hierhin, mal dorthin. Plötzlich rief sie: »Aurelia, schau was ich gefunden habe!«
Sie hatte ein kleines Karussell entdeckt, auf dem Pferdchen an Stangen befestigt waren. »Oh, sieht das schön aus«, sagte Annomé und berührte eines der Pferdchen. Plötzlich erklang kurz eine Melodie. Erschrocken sprang Annomé zurück.
Aurelia kicherte.
»Was war das?«, fragte Annomé.
»Das ist eine große Spieluhr. Ich kenne sie aus der Zeit vor 600 Jahren. Da stand sie in einem der Kinderzimmer.«
»Was ist eine Spieluhr?«
»Ich zeige es dir«, sagte Aurelia. Sie drehte an einem Schlüssel, der sich seitlich an der Spieluhr befand. Eine zauberhafte Melodie erklang und die Pferdchen drehten sich im Kreis.
Annomé klatschte begeistert in die Hände. »Oh, ist das schön.« Zuerst tanzte sie zu der Melodie. Anschließend setzte sie sich auf eines der Pferdchen und ließ sich im Kreise drehen.
Das sah so lustig aus. Aurelia hatte ihren Spaß, allein vom Zuschauen. Immer wieder musste sie die Spieluhr aufziehen. Annomé konnte gar nicht genug von dem Ritt auf den Karussellpferdchen bekommen.
Nach einiger Zeit sagte Aurelia: »Annomé, jetzt ist aber genug! Du übertreibst mal wieder.«
»Och Aurelia, bitte, bitte, noch ein letztes Mal«, bettelte Annomé.
»Na gut, nur noch dieses eine Mal.«
Wieder drehte Aurelia an dem Schlüssel. Diesmal passierte etwas Seltsames. Das Karussell drehte sich immer schneller. Annomé konnte sich kaum mehr auf dem Pferd halten und ihr wurde übel.
»Hilf mir, Aurelia!«, rief sie in Panik.
Bevor Aurelia irgendetwas tun konnte, flog Annomé im hohen Bogen quer über den Speicher. Ein hässliches Glucksen und Lachen war zu hören.
Aurelia eilte zu Annomé. »Ist dir was geschehen?«, fragte sie besorgt.
Annomé rappelte sich auf und schüttelte sich. »Was war denn das?«
Aurelia zuckte mit den Schultern.
Annomé zog die Stirn in Falten. »Hast du so komisch gelacht?«
Aurelia schüttelte energisch den Kopf. »Natürlich nicht«, sagte sie.
Die beiden Elfen schauten sich an. Beide hatten das gleiche Gefühl, dass sie hier nicht alleine waren.
»Lass uns schnell hier verschwinden«, sagte Aurelia.
»Besser ist das«, flüsterte Annomé.
Wieder erklang dieses hässliche Lachen.
»Nix wie weg hier«, jammerte Annomé.
Die beiden flogen in Windeseile in Richtung Turm davon. Sie konnten die Tür bereits sehen, da spürte Annomé einen eiskalten Windhauch an sich vorbeiziehen. Das war so gruselig, dass sie zu zittern begann. Sie waren nur noch wenige Meter von der rettenden Tür entfernt, da schlug diese mit einem lauten Krachen zu. Egal wie heftig Annomé und Aurelia daran rüttelten, sie konnten sie nicht öffnen.
»Eingesperrt! Eingesperrt!«, rief eine Stimme hämisch.
Die beiden schauten sich um, sahen aber niemanden. Annomés Herzchen klopfte wie wild. Bei aller Angst die sie hatte, war das einzige Beruhigende dass diese Stimme nicht Ogelot gehörte.
Langsam schlug Annomés Angst in Wut um. Sie rief: »He, du Feigling! Wer du auch immer bist, zeig dich!«